Seeed letzter Song verklingt in der JBL-Musikbox, man stolpert durch den Müll aus Plastikbechern und Glasflaschen, in den Wimpern hängen noch die letzten Glitzersteinchen. Alles fühlt sich an wie ein Rausch, die Zeit vergeht so schnell, man will sie kurz bitten, einfach die Füße stillzuhalten. Schließlich heißt es jetzt wieder: ein Jahr warten.
Nicht auf den Kater, der muss sich nächstes Jahr nicht wieder zu breitmachen. Obwohl es doch auch an Charme gewinnt, den ganzen Tag im Pyjama Serien zu gucken und Pizza zu bestellen:
Film
Four Seasons mit unserem geliebten Steve Carell verspricht, einfach und amüsant zu werden. Ich höre den Stöhner: ja, The Studio steht auf der Liste! Aber manchmal möchte ich auch selber entscheiden. Four Seasons geht um eine Freundesgruppe, in der ein Mitglied sich nach 25 Jahren Ehe von seiner Ehefrau trennt, um mit einer 25 Jahre jüngeren Frau eine Beziehung anzufangen. Verkatert fantastisch, nüchtern wirklich sehr albern und anstrengend. Wir werden sehen, mit welchen anderen Klischees sie um die Ecke kommen. 4,8 von 10 Sternen.
Anders als Ferrari. Enzo Ferrari scheint mir sehr sympathisch – das macht der italienische Charme, nehme ich an. Penélope Cruz sieht zur Abwechslung wirklich furchtbar aus, und die ganze Geschichte ist sehr gut erzählt, sehr gut gespielt, und alle, die sich fürs Autorennen wie auch wahre Ereignisse wie auch Adam Driver interessieren, kommen hier auf ihre Kosten. 8 von 10 Sternen.
Andere Inspirationen
Am Kanal kann man auf einer Kutsche fantastisch die Leute beobachten, die sich wiederum über den ungewöhnlichen Rastplatz amüsieren. Win-Win. Auch ist das Flanieren am Kanal Balsam für die Seele, und wenn man dazu noch in Lieblingsbegleitung ist … fällt der Abschied wahnsinnig schwer. Klassisch weinend-wie-auch-lachendes-Auge-Situation. Zur Ablenkung geht man dann in eine „Modern Dating“-Ausstellung. Das Konzept, Musik mit Bild zu vereinen, finde ich fantastisch. 750 Euro für ein Bild zu verlangen, das meine Nichte hätte malen können, ist dann doch sehr viel.
Film
So gibt man sein Geld lieber im Kino aus und schaut Einfach machen! She Punks von 1977 bis heute an. 3 von 10 Sternen. Keine Story, kein geschichtlicher Hintergrund, eigentlich nur eine Werbeveranstaltung für Malaria! und Östro 430. Und obwohl der wertgeschätzte Knut Elstermann den Film gut findet – ich habe nur die Original-Footages für gut befunden.
Anders aber als bei Ford v Ferrari.
Obwohl ich finde, dass Matt Damon sich eigentlich nur Brad Pitts alte Spielweise abgeguckt hat (kaugummikauend und sonnenbrillentragend lässig-cool), ist auch dieser Rennwagenfilm gute Unterhaltung. Die Geschichte über Ford (übrigens keine deutsche Automarke) und den Bau eines superschnellen Autos, das ein 24-Stunden-Rennen gewinnen, überstehen und Ferrari schlagen muss. Gute 7,3 von 10 Sternen.
Andere Inspirationen
Man findet einen Kinderbauernhof in Kreuzberg und wünscht sich einen Esel und eine Ziege. Trüffelpommes sind leider unschlagbar, auch mit viel zu wenig Mayonnaise.
Und Pizza zum Sonntag passt so gut wie das Amen in der Kirche.
5. Mai
Seit Langem bin ich nicht so gerne um die gleiche Uhrzeit aufgestanden. Der einzige Unterschied? Diesmal steht keine Weltreise nach Charlottenburg an.
Musik
Blood, Sweat and Tears begleiten mich, während ich versuche, telefonisch Termine zu vereinbaren und nicht die Geduld in Warteschleifen zu verlieren. Ja, man war erfolgreich.
The Stranglers’ Dreamland feiert dann den Erfolg.
Und als dann der Plattenspieler abgestellt wurde und es überging zur Weltmacht Spotify, war es die Suits-Playlist, mit guten Songs wie Chainsmoking…
Film
Der Vorhang öffnete sich für Parthenope, einen italienischen Film über die Schönheit der Frau, die Jugend und Anthropologie. Gewählt, weil ich einen Trailer zufällig gesehen habe und in meinem Umkreis Italiener sind.
9,9 von 10 Sternen. Cinematography sind 15 von 10 Sternen, die Schauspieler harmonieren und berühren einen mit einer solchen Tiefe. Die ganze Geschichte macht einen zum Ende kurz sprachlos, weil viele Lagen, so viele Blickwinkel besprochen werden. Was denkst du? Was denkst du wirklich, wenn du an einem paradiesischen Ort ins Leere starrst? Nichts? An alles andere? Was bringt es einer Frau, nur schön zu sein – bzw. nur auf ihre Schönheit reduziert zu werden? Was kann sie damit im Alter anfangen? Was ist, wenn sie dazu auch noch intelligent und interessiert ist? Was hat John Cheever damit zu tun? Die Eltern? Verlust? Kultur und Politik in Neapel? Ich bin begeistert, berührt, ich möchte zur Muse werden und mich gleichzeitig entziehen – der Welt und den Katastrophen.
Andere Inspirationen
Man trotzt der Bürokratie, die sich auf dem Schreibtisch stapelt und nie, nie zu enden scheint, und belohnt sich mit einem Spaziergang übers Tempelhofer Feld. Es ist eisig. Man fühlt sich wohl, da wo man gerade ist. Es ist schon alles richtig so. Ich flieg in zwei Tagen nach London – wie aufregend.
6. Mai
Am Morgen besucht man die Frau Doktor und bekommt zu hören, dass alles in bester Ordnung ist. Schön, kann man ja auch mal sagen – schön, sowas. Die Temperaturen klettern stetig, so wie die Sonne am Himmel hoch, und der Morgen erstrahlt.
Ein bisschen Pilates da, ein bisschen Lesen hier, die Sonne scheint einem auf den Bauch und man könnte das den ganzen Tag so weitermachen. Leider muss man sich auch den Verpflichtungen im Leben stellen – was in meinem Fall bedeutet, Freunde zum Picknicken zu treffen. Mit dem Rest 1.-Mai-Sekts bewaffnet flaniert man am Kanal und setzt sich in die Sonne, bricht türkisches Brot, dippt Kringel in Aufstriche und erfreut sich der Gesellschaft. Als es dann zuzog, setzt man sich in die Wohnung desjenigen, der am nächsten dran wohnt (DIREKT AM KANAL!!!), spielt Karten und übt Kartentricks, lacht und fühlt sich pudelwohl.
Am Abend erfolgten dann leider relativ unerfreuliche Sachen. So wurde man allein mit seiner Nervosität der anstehenden Tage gelassen und konnte sich nicht entscheiden, packte dies ein, das wieder aus und beschäftigte sich intensivst mit der Frage, was man zu einem Cricket-Match anzuziehen hat.
Der Check-in verlief katastrophal.
Und dann steht plötzlich die Nachbarin vor der Tür und sagt, aus ihrer Decke tropft es. Was für ein Albtraum. Um 1:30 Uhr kommt der Handwerker, besieht sich den Schaden und schüttelt mit dem Kopf. „Kriegen wa schon irgendwie hin, ne?“ Ich hoffe.
Wenig Schlaf gepaart mit Nervosität ist gefährlicher Sprengstoff für nahestehende Menschen.
7. Mai
Manchmal freue ich mich über mein Vergangenheits-Ich. Denn gepackt ist alles – man muss es nur aus dem Haus schaffen. Das gelingt, auch wenn man angespannt wie ein Flitzebogen ist und versucht, wieder einmal, alle Nerven zusammenzuhalten. Egal, London! Let’s go.
Man zahlt 10 Euro für ein Eggdrop-Cheese-Sandwich, meistert die Komplikationen mit Hausverwaltung und Handwerker und starrt ins Leere, bis der Flug aufgerufen wird.
Es sind viele Kinder im Flugzeug – was immer vielversprechend ist –, aber der Traditionspodcast schafft es, mich vor Abflug in einen Zustand von Schlaf zu manövrieren, den ich sieben Minuten vor Landung wieder verlasse.
Hier sind wir, London Stansted, und begegnen zwei bekannten Seelen aus Berlin. Die Welt ist klein. Eine halbe Autostunde später befindet man sich in einem Cottage auf dem Land – es riecht nach frisch gemähtem Rasen, nach dem Teich vor dem Haus mit den Entenbabys, es riecht nach Bauarbeiten und ein bisschen nach Hund.
Man wird zum lokalen Farmmarkt gefahren (auf der falschen Seite) und möchte am liebsten den ganzen Laden mit nach Hause nehmen. Es gibt Fisch und Chips, das britische Traditionsessen, und einen weiteren Supermarktrun. (England gibt einem die Möglichkeit, selbst seine Einkaufsgegenstände zu scannen, sodass man einen einfachen „In and Out“ haben kann. Die Technik von heute…)
Es wird der Einkauf verstaut und mit den Vorbereitungen des abendlichen Dinners sowie des Picknicks für den morgigen Tag begonnen. Es kommt die Familie zum Essen und natürlich wird es politisch. Es wird jedenfalls probiert.
80 Prozent der in London lebenden Gesellschaft ist nicht in London geboren.
Ich kann da kein Problem sehen und verstehe den Einstieg in die Konversation nicht. Naja, die Briten halt.
8. Mai
Es ist verrückt zu wissen, dass man manchmal in Lebenssituationen gerät, die mit der eigenen Realität nichts zu tun haben. So kommt es, dass ich mich morgens in einem Taxi nach London befinde – nicht wissend, denn die Kommunikation beschränkte sich auf: Wir fahren nach Lords. (Nicht Cricket-affine Menschen stellen sich ein Dorf vor, das mit einer Grünfläche ausgestattet ist, auf der eben dieser Sport ausgeübt wird.)
Ganz entgegen der Vorstellung hält man plötzlich vor einem riesigen Stadion: Menschen im Anzug, mit Hüten, junge Menschen in Uniform tummeln sich. Willkommen in Lords, dem Geburtsplatz des Crickets, dem heiligen Gral der Sportfans.
Es ist kein Leichtes, sich mit diesem Sport live auseinanderzusetzen, wenn man vorher keine Instruktion bekommen hat. Im Laufe des Tages wuchs jedoch das Verständnis, was aus der Frustration führte und einen ein bisschen stolz macht.
Es gibt zwei Spieler mit Schlägern, die die Wickets auf ihr Leben verteidigen. Umringt sind diese beiden vom gegnerischen Team, deren Frontspieler derjenige ist, der mit dem Ball versucht, die Wickets zu treffen. Und dann passiert noch viel drumherum.
Zur Mittagspause wird gepicknickt. Üppig gepicknickt. Die Sonne scheint und es ist herrlich, mit dieser Gruppe Menschen Zeit zu verbringen.
Und dann passierte das Wunder: Man wurde in den Pavillon eingeladen, den MCC Club, in den man nur mit Mitgliedschaft und royalem Blut Zutritt bekommt. Der Gott des Crickets machte aber eine Ausnahme bei der deutschen Schauspielerin, die dazu auch ihren allerersten Tag in London verbringt.
Ja, das war wirklich sehr beeindruckend.
Am Abend kehrt man in den lokalen Pub ein, um die Spieler zu feiern (unser Team hat es leider nicht geschafft) und eine Nase voll britischer Kultur einzuatmen. Es ist laut, es ist männlich, es ist ein guter Abschluss des Abends.
Empfangen wird man herzlichst von Freunden, die einem für die nächsten zwei Tage freie Kost und Logis stellen.
Der erste Tag in London ist wahrscheinlich für die meisten Menschen ein Kämpfen mit dem U-Bahn-System, ein Erschrecktsein über die Größe der Stadt, ein Umherirren zwischen dem Buckingham Palace und King’s Cross. Wahrscheinlich ist es selten vorgekommen, dass man als erste Erfahrung Cricket sieht. Noch seltener ist es, dass man Cricket im Lords-Stadium schaut – und wahrscheinlich drei Mal in der gesamten Geschichte der Menschheit ist es vorgekommen, dass man dem Spiel im Pavillon beiwohnt.
Mein Herz ist voll mit Liebe, Überraschung und Anerkennung ans Leben.
9. Mai
Nachdem man nun nicht nur im Sport, sondern auch in der Londoner High Society angekommen ist, wird man geweckt mit Smoothie und Katerkaffee in einem Haus fast im Suburb. Die Sonne strahlt durch das Glasdach auf die Terrasse, die bei näherem Anblick nach Yoga schreit. Manchmal muss man Prioritäten setzen. Man wäscht also den aufgewirbelten Cricket-Staub von der Haut und befindet sich eine halbe Stunde später in der Elizabeth Line auf dem Weg zum Portobello-Markt. Keine Erwartungen an eine Stadt wie London zu haben, macht es definitiv einfacher, den Tag zu genießen. Beeindruckt zu werden gleich in der ersten Abbiegung in eine Seitenstraße ist dann die absolute Versicherung.
Es sind 18 Grad, die Sonne scheint und: London, Baby – stunning! Man flaniert auf dem Markt entlang, hat Lunch in einem hippen Café, läuft am Notting-Hill-Buchladen vorbei (kein Buchladen mehr – falls es je einer war –, nur ein Touristenshop mit Taschen und Magneten. Warum sind Magneten eigentlich DER Touri-Hit?), die leider auch die blaue Tür völlig bedecken. Die Queen meint es gut mit einem und man erwischt die vordersten Sitze im berühmten Doppeldeckerbus, der einen am Hyde Park vorbei in die Oxford Street und zum Oxford Circus bringt. Dort wird sich ausgetobt im größten Spielzeugladen der Welt – Hamleys, und es IST DER BESTE LADEN, DEN ES GIBT FÜR GROSS UND KLEIN, DIE SICH FÜR JEGLICHE ART VON SPIELZEUG INTERESSIEREN. Es gibt Animateure, die einem diese dann zeigen oder mit den Kids tanzen oder zaubern oder Glitzer in die Luft schmeißen. Herrliche 10 von 10 Spaß-Sterne. Eine Ecke weiter ist man dann im SOHO, welches mit dem in New York keine Ähnlichkeit hat (whatsoever). Dort wird nach einem Sonnenplatz Ausschau gehalten – den erwischt man aber erst in Chinatown, das schon mehr dem ähnelt, welches ich in New York kennengelernt habe. Ein paar Dumplings später ist man auf der Hungerford Bridge über der Themse und sieht das London Eye das erste Mal in persona. Irgendwie hatte ich mir den Big Ben größer vorgestellt, denke ich, während ich an meinem Aperol schlürfe und mir die Sonne ins Gesicht scheint. Die Westminster Bridge geleitet mich wieder hinüber und zurück in die Fast-Suburbs, wo ein fantastisches Curry auf mich wartet. Freunde, die kochen können… 10 von 10!
10. Mai
Der Grund, warum ich diesen Newsletter nicht gestern veröffentlicht habe, ist genau der, dass ich auch heute noch in der Hauptstadt Englands – dem Geburtsort des Crickets, dem royalen Schauplatz vieler Schlagzeilen, dem Zuhause von Paddington Bär, von Sherlock Holmes, Harry Potter und James Bond – verweilen durfte.
Ein weiterer Morgen beginnt mit gesundem Essen und Kaffee, dem Geschrei von Kleinkindern, die gar nicht mehr so klein sind.
Man wird verabschiedet und setzt sich wieder in die Elizabeth Line (gewidmet der Königin, verstorben drei Jahre zuvor) und trifft sich für Dumplings und Ginger Ale. Nur dass die Kenner statt Dumplings Dim Sum sagen und damit all die asiatischen Tapas meinen. Es war ein Fest, das gern bald wiederholt werden darf. Der Hyde Park öffnet seine Tore und man flaniert einmal komplett um die Serpentine herum – mit Eis und Espresso Macchiato.
Aber auch die Zeit in London findet irgendwann ihr Ende und schon eine Stunde später sitzt man im Flughafen-Express nach Stansted, sieht das britisch-londische Umfeld an einem vorbeiziehen und versucht, all die Eindrücke zu prozessieren, zu protokollieren, wiederzugeben.
Nach dem hundertsten Mal „See it, say it, sort it“ plus dem von uns zugefügten „Shut up“ (4xS) verlassen wir den Zug und kommen wahnsinnig schnell und effizient an unser Gate.
London war so gut zu mir, London hat sich richtig herausgeputzt, sich mit Umarmungen und Sentimentalität in mein Herz geschlichen und ich werde wiederkommen.
Cheers, Mates – bis nächste Woche.
Bussi, Baba